Der restliche Teil des Strandes, der nicht Lager oder Sammelplatz ist. Der Untergrund ist zwar sandig, jedoch auch leicht steinig. Hier kann man Krabben finden oder einen Sprung ins Meer wagen, um sich entweder abzukühlen oder nach ein paar Fischen zu angeln. Man muss jedoch die Strömung beachten.
Hilfe… Bitte, ich kann nicht mehr… Seht ihr es denn nicht? Seht ihr mich nicht? Seid ihr so blind geworden? Oder… Gibt es euch nicht?
Verbittert hallte leise ihr Lachen der niedrigen Wände wider. Ein Lachen ohne jede Freude, ohne Hoffnung. Ein leeres, schmerzerfülltes Lachen, dann rasch in ein Schluchzten überging. Ihre Stimme klang rau, knochentrocken. Ihr magerer Körper erbebte leise. Oh, lacht nicht! Ich weiß es doch eh! Ich weiß die Wahrheit Ich weiß, dass ihr die Lüge seid! Mörder!
Zitternd atmete sie ein, füllte die schmale Brust mit kostbarer Luft. Den Mund geöffnet zog sie sie tief in sich hinein, genoss den Geruch von Wasser und Salz, der in der Brise mitschwang. Beinah schien dieser Geruch das einzige, dass ihr Hoffnung gab. Hoffnung und die Change zu überleben. Fünf Tage waren vergangen, seit Ran von der Klippe gefallen war. Drei Tage seit sie den Felsen verlasen hatte und sich auf das raue Festland geschleppt hatte. Kraftlos war sie danach zusammengebrochen. Keuchend hatte ihr schmerzender Körper im Sand gelegen, während die Sonne langsam vom Mond abgelöst wurde. Zwei Tage vergangen seit sie die kleine Höhle gefunden hatte und sich darin verkrochen hatte. Ein Tag vergangen seit dem Hunger sie anschrie aufzustehen. Seit die Meeresluft sie wieder lockte. Hinaus aus der Höhle – weg vom Tod. Hustend krümmte sich ihr verschrammter Körper, ihr Hals war völlig ausgetrocknet, ihr bauch leer. Leer wie ihr Herz. Zitternd streckte ran eine Pfote nach vor, dann die nächste. Sie stöhnte vor Schmerz, keuchte leise, während ihr bauch über den Steinboden schrammte. Doch sie schob sich weiter, folgte in der Dunkelheit blind dem Geruch von frischer Luft, der durch einen schmalen Spalt in die Höhle wehte. Ihr Ohr streifte eine Wand und ein schmerzerfülltes wimmern gelang es über ihre Lippen zu schlüpfen. Leise fauchte sie, kämpfte sich Zentimeter für Zentimeter am Boden liegend vorwärts. Kaum bemerkte sie wie der Stein ihre Unterseite zerkratzte. Ran spürte wenig, der Schmerz an ihren großen Verletzungen nahm allem anderen die Macht. Fünfunddreißig Monde lang hatte sie nicht gewusst das eine Katze diesen Schmerz aushalten könnte. Soviel in ihr war kaputt, ach was. Alles war kaputt. Ihr Körper ebenso ein Frack wie ihr inneres. Ran hatte ihren besten Freund verloren, wenn Rune noch lebte floh er. Sie hatte ihre Mutter in den Tod stürzen sehen, hatte zugesehen wie ihr Körper mit Wucht aufprallte und nahezu durch den Druck zerquetscht wurde. Sie hatte die Lügen von Wahrheiten verschiedenster Katzen gehört. Doch das schlimmste war erst nach dem Sprung gekommen. Nach allem. Es war nicht der Tod ihrer Eltern, nicht die Zerstörung ihres Körpers. Am schlimmsten war Keto.
Es war die Angst in den Augen der jungen Katze, die völlige Panik. Es waren die Schreie aus ihrem kleinen Maul, die Ran wirklich zerstörten. Und dass sie Keto seit jener Nacht nicht gesehen hatte. Schuld ballte sich in ihr zusammen, trieb ihren Körper weiter. Sie war feige gewesen – hatte sich instinktiv versteckt, anstatt nach ihrer Tochter zu suchen. Ja, Ran war kaputt und zu gehen noch eher ein ding der Unmöglichkeit, doch hätte sie nicht alles für ihr Junges tun müssen? Ihr kleines Baby… Eine Tränenspur lief über ihr Gesicht, dann schob Ran sich wimmernd durch den Spalt hinaus auf den Strand. Die graue Kätzin lag auf der Seite im Sand, die Augen weiterhin geschlossen und folgte stur dem Gräusch der sanften Wellen. Stück für Stück schob sie sich vorwärts, versank mit den Pfoten im Sand. Dann erreichte sie das Wasser. Sanft umspielten die Wellen ihre Vorderpfoten, leckten an dem verschmutzten Fell, dass durch Steinchen, Erde und Sand mehr braun als grau wirkte. Salz verklebte ihrem Pelz und ihr Gesicht, instinktiv schob sie die Nase kurz in die eisigen Fluten und atmete dabei aus um wieder besser atmen zu können. Dann ließ Ran sich kraftlos in den Sand sinken, stöhnte nur leise, während sich der Sand in ihre Wunden grub. Jeder Knochen protestierte, jeder Muskel war verspannend, während sie die Augen weiterhin geschlossen hielt. Sie hatte sich nie für feige gehalten. Ach, so weit wie sie kam man nicht ohne Mut. Und trotzdem verkrampfte sich ihr Körper vor Angst zu sehen. Oder besser gesagt davor nichts zu sehen… Stöhnend rappelte Ran sich wieder ein Stück auf, schleifte sich Stück für Stück mit Pausen weiter bis ein zweites rauschen dazukam, von links hörte sie ein leises Grugeln und Plätschern. Einer kleiner Süßwasserfluss der in dem großen Meer floss. Nach und nach verschwand der Sand und wurde Teilweise von Steinen und Gras ersetzt. Die Todesgeweihte schleppte sich weiter, bis wieder kühles Wasser um ihre Pfoten spülte. Ihre Beine zitterten vor Anstrengung, während sie sich weiter in das am Ufer seichte Wasser sog. Scharf zog sie die Luft sein, während die eisigen Fluten den Dreck aus ihrem Fell und den Wunden spülten.
Segen und Qual, Schmerz und Erlösung. Rans gesamter Körper aus ihrem Kopf und der Schweifspitze waren unter dem Wasser, sanft umhüllt von der ihr so vertrauten Kühle. Wenn nicht der Hunger und der Durst wären, nicht die Leere in ihrer Brust und das wissen all der Wunden, so könnte dies ohne Zweifel ein wunderschöner Moment sein. Nun, gegen den Durst konnte sie etwas tun, nur hatte sie Angst davor das Gesicht zu senken. Ran hatte die Augen langsam geöffnet und doch sah sie nur einen Teil. Weil der andere fehlte… Sie schluckte, die Enge um ihren Brustkorb nahm zu und wollte ihr die Luft abschnüren. Wie es wohl wäre, Wasser auch in dieser Wunder zu spüren. Sie drehte den Kopf, um zu ihrem Schweif zu sehen und wimmerte leise. Nichts sah sie, denn so hätte sie nur mit dem fehlenden Auge gesehen, wenn sie schielte. Da die Muskeln die Bewegung noch tun konnten aber ohne Augapfel und vor allem angesichts der frische der Verletzung schoss Schmerz durch ihren kaputten Körper. Sie schluckte, drehte den Kopf zurück und zwang sich den schweif ganz unter Wasser zu senken. Wunden mussten gereinigt werden, oder sie würden sich entzünden – so viel war noch in ihrem Kopf. Und auch wenn sie nicht wirklich Sinn im Leben sah, zwang ihr Instinkt sie dazu nicht aufzugeben. Ein Brennen kroch über ihr Rückgrat hinauf, doch sie zwang sich, so zu verharren. Das Wasser seinen Job machen zu lassen und die Wunde zu reinigen.
Wasser war ihr Element, ihr Herz. Es brachte sie zum lachen und weinen. Tat ihr gut, verursachte Schmerz. Gab ihr das Gefühl zu leben und zog andere in den Tod. Es hatte so viele in den Tod gezogen… Müde schloss Ran die Augen und atmete tief ein, bis ihre schmale Brust sich dehnte. Dann senkte sie den Kopf unter Wasser. Der Fluss umschloss ihren Körper nun ganz. Sie spürte die Kälte im Gesicht, es befreite ihre verklebte Nase von Tränen, Salz und Dreck. Eine weitere Träne der Einsamkeit floss aus ihrem heilen Auge, dann öffnete sie beide und zuckte unter dem Schmerz in der leeren höhle zusammen. Der Schmerz. Er war überall. Wollte sie verschlingen. Sich aufbäumen. Hilfe. Bitte helft mir. Ich kann das nicht. Hört ihr mich, ich kann nicht! Hört ihr mich nicht? Oder... Gibt es euch nicht...
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angesprochen / erwähnt Keto ↝ Eltern ort kleine Felshöhle -> Strand -> Bach zum Meer